Stickerei

Mit einer Handstickmaschine können bis zu hundert Objekte gleichzeitig von einer Person bestickt werden. Im Neuthal sind drei solche Maschinen in Betrieb. Ihre Blütezeit war kurz vor 1900.

Ausstellung

Stickereien veredeln gewobene Stoffe seit Jahrhunderten. Mit der Erfindung der Handstickmaschine schnellte die Produktivität gewaltig in die Höhe, bis die Maschinen einige Jahrzehnte später durch Schifflistickmaschinen abgelöst wurden. Im Neuthal stehen drei betriebsfähige Handstickmaschinen, auf denen bis zu hundert Einzelstücke oder ganze Bänder bestickt werden.

Sticken war über Jahrhunderte eine ausgesprochen aufwendige Handarbeit. Bestickte Stoffe waren entsprechend selten und teuer. Die Erfindung der Handstickmaschine um 1830 ermöglichte es, auf einen Schlag von einer Person bis über hundert identische Stücke gleichzeitig herzustellen.

In der Stickerei im Neuthal können die Besucher den Stickerinnen bei der Arbeit zuschauen und mit etwas Glück auch selber ein paar Stiche anbringen.

Die Ausstellung gibt einen Einblick in eine faszinierende Technik und vermittelt Eindrücke aus dem Arbeitsumfeld der Stickbetriebe. Sie erzählt von der Blütezeit der Handmaschinenstickerei und dem Niedergang im 20. Jahrhundert.

Geschichte

Die Erfindung der Stickmaschine fällt in die Zeit um 1830. Ab 1850 sind die Maschinen technisch so ausgereift, dass sie in grosser Stückzahl produziert werden können. Hersteller waren beispielsweise die Firmen Rittmeyer, Benninger in Uzwil oder Karl Bleidorn in Arbon.

Handstickmaschinen verbreiteten sich enorm in der Ostschweiz. Sie sind mindestens teilweise ein Ersatz für den Niedergang der Heimweberei, die sich mit dem Aufkommen der mechanischen Webstühle nicht mehr lohnt. Um 1910 waren ca. 20’000 Handstickmaschinen in Betrieb, mehr als die Hälfte als Einzelmaschinen in privaten Haushalten. Auch in der Region Zürcher Oberland standen über 1000 Handstickmaschinen.

Doch schon vor dem 1. Weltkrieg setzte die Krise ein. Mit der zunehmenden Automatisierung durch die Schifflistickmaschinen wurde es für die Handmaschinensticker immer enger. Die Branche erholte sich auch nach dem Krieg nicht mehr zur vorangegangenen Blüte. Trotzdem wurden bis weit ins 20. Jahrhundert hinein noch neue Handstickmaschinen installiert und brachten manchem (Heim-)Sticker noch bis in die 60er Jahre Arbeit.

Technische Entwicklung

Handstickmaschine

Der Sticker (praktisch sassen ausschliessliche Männer an der Maschine, die Frauen erledigten die Hilfsarbeiten) bewegt einen Stift entlang einer vergrösserten Vorlage. Über einen Pantografen wird die Vorlage verkleinert und mehrfach reproduziert. Der einzelne Stich wird mit einer Kurbel von Hand ausgelöst. Benötigt eine Vorlage eine andere Farbe, müssen alle Fäden der Maschine ausgewechselt werden. Damit die Stickereien von hoher Qualität sind, müssen die Nadeln der Handstickmaschinen äusserst präzise justiert werden.

Dem Stickrahmen nachempfunden wird bei der Handstickmaschine der Faden bei jedem Stich ganz durch das Gewebe geführt. Dazu wird eine doppelspitzige Nadel verwendet durch deren mittiges Öhr der Stickfaden läuft.

Prinzip Plattstich

Die auf der Handstickmaschine eingesetzte Stichart nennt man Plattstich. Bei diesem Füllstich, der nur einen einzelnen Faden verwendet, werden auf der Oberseite des Stickgrunds die Fäden dicht nebeneinandergelegt, damit ein geschlossenes Muster entsteht.

Bei der Monogrammstickmaschine werden einzelne Werkstücke (z.B. Taschentücher) eingespannt, bei der Bandstickmaschine kann ein Motiv ohne Unterbruch zu einem vier Meter langen Band zusammengefügt werden.


Fädelmaschine

Um 1890 erfindet Viktor Kobler die Fädelmaschine. Sie zieht das Stickgarn mechanisch in das feine Nadelöhr der Sticknadeln. Die Maschine wird mit einer Handkurbel oder je nach Modell mit einem Fusspedal angetrieben. Garn und Nadeln müssen aufeinander abgestimmt sein. Das mühselige Einfädeln von Hand war zuvor eine typische Kinder- oder Frauenarbeit. Aber auch das maschinelle Einfädeln blieb hauptsächlich den Kindern vorbehalten. Die Maschine war derart produktiv, dass damit gleich mehrere Handstickmaschinen bedient werden konnten.

Schifflistickmaschine

Bereits 1863 erfindet Isaak Gröbli die Schifflistickmaschine, welche längere Fäden mit kürzeren Wegen verarbeiten kann als die Handstickmaschine. Ein Motorantrieb ersetzt die Muskelkraft und die Maschinen werden dadurch grösser und noch mehr Muster können gleichzeitig gestickt werden. Anfänglich wird das Muster wie bei der Handstickmaschine auf der Vorlage abgetastet und über den Pantographen auf das Werkstück übertragen. Der Durchbruch der Schifflistickmaschine erfolgt mit Verzögerung gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Um 1900 beginnt die Ablösung des Pantographen durch die Lochkartensteuerung. Der Sticker wird abgelöst und die Produktion von Stickautomaten beginnt. Die Schifflistickmaschine verbreitet sich in der Industrie und weniger in der Heimarbeit.

Stichprinzip Schifflistickmaschine

Die Schifflistickmaschine verwendet für die Stickbildung das gleiche Prinzip wie die Nähmaschine. Auf der Rückseite des Stoffs übernimmt ein Schiffchen mit kleiner Bobine den Stickfaden und gibt ihn beim nachfolgenden Stich wieder frei. Im Gegensatz zur Handstickerei werden also zwei Fäden benötigt.

Wirtschaftliche Bedeutung

Die Stickerei in der Ostschweiz entwickelte sich aus dem Niedergang der Handweberei um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Entwicklung der Handstickmaschine zum reifen Produkt brachte der Stickereibranche ab ca. 1870 einen enormen Auftrieb.

Die um die Jahrhundertwende nachfolgende Schifflistickmaschine verstärkte diesen Trend und brachte Land und Leuten Wohlstand und teilweise Reichtum, der sich in Stadtgebieten an prachtvollen Gebäuden noch heute erkennen lässt. Mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs begann der stetige Niedergang des Gewerbes. Viele Heimsticker verloren ihre Existenz und Fabrikationsbetriebe mussten schliessen.

Führungen

Auf einer Führung durch unsere Handmaschinenstickerei erläutert und demonstriert Ihnen unsere Stickerin den Arbeitsvorgang und wie die vielfältigen Muster entstehen.

Bestaunen Sie die unzähligen Stickmuster in den historischen Musterbüchern.

Die über 100-jährigen Stickmaschinen und die dazugehörigen „Fädelmaschinen“ beeindrucken durch ihre hochpräzise, aber verständliche Mechanik.

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